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Jahreslosung

Meine Gedanken zur Jahreslosung 2020

„Ich glaube – hilf meinem Unglauben!“       Markus 9/24

Die Losung für das neue Jahr 2020 stammt aus dem Mund eines verzweifelten Vaters. Wer je um das Leben des eigenen Kindes gebangt hat, wird diesen Mann bestens verstehen. Da geht es nicht um einen „lockeren“  Gedankenaustausch: Jesus ist für diesen Vater die letzte Hoffnung. Er hofft auf ein Wunder – und das, obwohl er sich nicht vorstellen kann das Jesus dieses Wunder wirklich tun kann. „Ich glaube – hilf meinem Unglauben!“

Dieser Mann steht für alle, die gern glauben möchten – aber immer wieder scheitern. Für alle, die sich Jesus anvertrauen möchten – aber immer wieder an ihre Grenzen kommen.
Für alle, die schon so oft enttäuscht wurden, und doch wieder versuchen aufzustehen.
Dieser Mann macht sich und Jesus nichts vor. Es ist ein ehrlicher Mensch. Er macht sich nicht frommer als er ist. Er hat den Mut, zu seinen Zweifeln zu stehen – und doch gleichzeitig nicht abzulassen, um dieses Vertrauen auf ein Wunder zu bitten und zu hoffen.

Dass Gott mich sieht, dass er mich an-sieht und sich mir trotz allem zuwendet, das sagt mir:
Vor Gott darf ich sein wie ich bin! Kein Kraftakt ist notwendig damit ich glauben und vertrau­en kann. Jesus gleicht meinen Mangel aus. „Gottes bedürfen ist des Menschen höchste Voll­kommenheit“ – so drückt es Sören Kierkegaard aus.

Ist das nicht eine riesige Erleichterung? Ich muss mir nicht ständig den Puls fühlen ob ich auch „richtig“ bin. Mein Eingeständnis: es reicht nicht – und meine Bitte: mach du mit mir was nötig ist – das kommt bei Gott an.

Thomas, der Zweifler

Es geht in der Jahreslosung für das neue Jahr um Glaube und Zweifel.
Da fällt mir ohne lange zu überlegen Thomas ein. Thomas, der Jünger Jesu. Er war mit Jesus unterwegs gewesen, hatte Zeichen und Wunder erlebt. Aber auch das andere: das bittere Ende von Jesus bis zum Tode am Kreuz. Er war nicht dabei als die anderen Jünger die erste Begegnung mit dem Auferstandenen hatten. Warum auch immer – die Bibel berichtet es nicht. Nur, dass Thomas nicht dabei war. Vielleicht musste er allein sein. Da war die Trauer, auch die Enttäuschung, die vielen unbeantworteten Fragen. Er nimmt den Freunden die Nachricht von der Begegnung mit dem Auferstandenen nicht ab: „Ich glaub  das erst, wenn ich selbst sehe. Wenn ich meinen Finger in seine Wunden legen kann.“

Und er bekommt diese Gelegenheit. Jesus lässt sich darauf ein. Thomas darf seinen Finger in die Wunden legen. Der Weg des Thomas geht über die Skepsis hin zur Begegnung, zur Berührung. Da ist Erschütterung, Erstaunen, Hingabe  - „Mein Herr und mein Gott“
In Potsdam im Schloss Sanssouci hängt ein Bild des Malers Michelangelo Merisi da Caravaggio. Der Maler fängt genau den Moment ein, wo Thomas seinen Finger in die Wunde Jesu legt. Da kann man an den Gesten, den Gesichtern, der Körperhaltung ablesen, wie es vom Zweifel, der Skepsis zum Moment des Erstaunens und Verstehen kommt. Vor Jahren war ich im Barlach-Haus in Hamburg. Ernst Barlach hat eine Skulptur geschaffen;sie stellt Jesus und Thomas dar.

 Hier ist nicht wie bei Caravaggio der Zweifler zu sehen, sondern ein Mensch, der eines der größten Gefühle erfahren hat: Erleichterung! Der Erleichterung folgt der Dank, die Liebe, die Hingabe. Wer nach einer schlimmen Nachricht eine Wende zum Guten erfährt, wer nach einem schweren Streit Versöhnung erlebt, wer nach langen Durststrecken wieder gutes Land  sehen kann, weiß, wie sich „Erleichterung“ anfühlt. Das verleiht einem neue Kräfte, manchmal fast Flügel, gibt Rückenwind, macht uns fähig, sich wieder den Menschen und neuen Aufgaben zuzuwenden.

 
Bei Thomas setzte es wohl eine Menge Energie frei. Er wurde offen für eine Berufung, die er sich wohl nie hatte träumen lassen. Thomas wurde ein Jünger, der die Heimat verließ. Sein Weg führte ihn über Persien nach Indien, wo er dann als Märtyrer sein Leben lassen musste. Aber bis heute gibt es in Indien viele christliche Gemeinden. Die Christen tragen seinen Namen weiter in dem sie sich Thomas-Christen nennen. Einer, der diese Gemeinden besucht hat, berichtet, dass die Menschen hier Thomas nicht in Verbindung bringen mit Thomas, dem Zweifler, sondern sie tragen ihn in Erinnerung als den, der den großen Mut hatte, die richtigen Fragen zu stellen und der dann seiner Berufung und Überzeugung folgte.

Meinen Platz finden

Ernst Barlach ist in seiner Darstellung – die Begegnung zwischen Jesus und Thomas – über den biblischen Bericht hinausgegangen. Vielleicht hat Barlach auch hier seine eigene Sehnsucht, sein Zweifeln und Suchen und Fragen mit zum Ausdruck gebracht. Nicht Thomas, der Zweifler, sondern Thomas, der seinen Halt ganz bei Jesus findet, der Nähe sucht und zulässt.

Thomas, der seinen Platz findet.

 

Barlach: Das Wiedersehen
Foto: E. Oberacker